Klassenraum im Kinderzimmer: Das Konzept Internetschule

Klassenraum im Kinderzimmer: Das Konzept Internetschule
11
Mai

Bisher haben wir uns im #excitingedu Blog vor allem mit digitalen Bildungsmedien, außerschulischen Initiativen, Infrastruktur(en) und medienpädagogischen Ansätzen beschäftigt. Der Fokus lag also weitestgehend auf dem Lernort Schule bzw. außerschulischen Lernorten, die sich in den schulischen Kontext einbinden lassen. Seit einigen Jahren lässt sich jedoch – der Digitalisierung sei Dank – die Schule gewissermaßen ins Kinderzimmer holen.

Durch Breitbandinternetverbindungen und entsprechende Endgeräte haben Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, von zuhause aus in einem virtuellen Klassenzimmer dem Unterricht beizuwohnen. Neben dem digitalen Klassenzimmer, das in bildungspolitischen Debatten überwiegend als klassischer Klassenraum mit moderner technischer Ausstattung verstanden wird, ist das virtuelle Klassenzimmer ortsunabhängig und nur an einen Internetanschluss gebunden. In Zeiten wachsender LTE-Abdeckung kann fast jeder Ort zum Lernort werden.

Attraktiv für Flächenstaaten

Vor allem Flächenstaaten, wie etwa Finnland und Norwegen, wird diese Technik schon seit der Jahrtausendwende genutzt. Je nach Bevölkerungsdichte, werden Schüler aus entlegeneren Landesteilen entweder in einen klassischen Klassenraum „zugeschaltet“ oder treffen alle in einem virtuellen Klassenzimmer aufeinander. Auch in den USA, wo die Schulpflicht deutlich aufgelockerter ist, findet man Online-Schulen.

Fehlende staatliche Anerkennung

In der Bundesrepublik wird dieses Modell – mit einer Ausnahme – nicht angewendet. Zum einen ist das Land dicht genug besiedelt, um Kindern und Jugendlichen den Besuch einer regulären Schule zu ermöglichen. Zum anderen wurde bisher keine Internetschule von den Kultusministerien der Bundesländer als Schule anerkannt und zugelassen. Dementsprechend kann die allgemeine Schulpflicht nicht an einer Internetschule erfüllt werden.

Die Web-individualschule Bochum

Dennoch gibt es in Deutschland eine Online-Schule: die Web-individualschule in Bochum. Diese bietet Schülerinnen und Schülern, die von der Schulpflicht befreit wurden, die Möglichkeit ihren Haupt- und Realschulabschluss außerhalb des regulären Schulbetriebs zu absolvieren. Die Befreiung von der Schulpflicht ist dabei Bedingung, denn die Web-individualschule ist nicht staatlich anerkannt.

Dementsprechend vielfältig seien die Gründe für den Besuch der Online-Schule, so Schulleiterin Sarah Lichtenberger im Interview mit dem Deutschlandfunk:

„Also der Fantasie, warum die Schüler hier sind, sei wirklich keine Grenze gesetzt: von körperlich krank bis psychisch krank, Mobbingopfer, Schüler, die bei einem Amoklauf an der Schule dabei waren und dann nicht mehr in der Lage waren, die Schule zu betreten. Da müssen wir uns schon sehr behutsam nähern.“(Sarah Lichtenberger, Schulleiterin der Web-individualschule, Deutschlandfunk 2016)

Die Internetschule als letzte Chance

Für die 150 Schüler, die unter anderem 1:1 Beschulung erfahren, ist das Angebot der 2002 gegründeten Internetschule häufig die letzte Chance auf einen Schulabschluss. Der Unterricht findet via Skype statt, das Lernmaterial senden die Lehrerinnen und Lehrer ihren Schützlingen per Mail zu. Diese bearbeiten die Aufgaben in einem festen zeitlichen Rahmen. Die monatlichen Kosten von rund 800 Euro werden in den meisten Fällen vom Jugendamt übernommen.

Einige Bekanntheit erfuhr die Bochumer Internetschule im Jahr 2006 als zwei Mitglieder der Band Tokio Hotel aufgrund ihrer hohen Popularität nicht mehr in der Lage waren, ihre reguläre Schule zu besuchen und zur Web-individualschule wechselten.

Fazit

Internetschulen werden in Deutschland wohl die Ausnahme bleiben. Zwar ließe sich argumentieren, dass es sich bei diesen um ein gelungenes Beispiel für digitale Bildung handelt. Die Kosten und die fehlende staatliche Anerkennung sprechen aber gegen weitere Neugründungen. So bleibt die Bochumer Web-individualschule ein Leuchtturm für all diejenigen, die den regulären Schulbetrieb nicht meistern können.